Hinter den Kulissen
Vor gut einem Jahr spielte ich innerhalb von nur vier Monaten 130 Shows eines tollen Stücks am Krystallpalast Varieté Leipzig. Ich durfte Conférencieuse, Sängerin, Pianistin und Tänzerin in einem sein und sang meine Lieblingslieder auf Französisch, Russisch, Italienisch, Englisch und Deutsch. Ein Bild von mir mit zwei großen Federfächern im Hintergrund pflasterte die ganze Stadt. Es war eine Traumrolle mit Traumkolleginnen und Traumkollegen.
Dennoch befand sich mein Leben hinter den Kulissen in einer absoluten Umbruchsphase. Und obwohl mir wirklich nichts Besseres hätte passieren können, als genau diese Show mit genau diesen Menschen zu spielen, eine Routine zu haben und Sozialkontakt, stand ich an einigen Tagen auf der Bühne, tieftraurig und verloren.
Besonders ein Moment bleibt mir bis heute in Erinnerung: Unser Bühnenbild war von vielen Fransen geprägt, denn es war eine 20iger Jahre Show: Vorhänge aus Fransen, Lampenschirme mit Fransen, Fransentischdekcen, etc. - Nach der Pause hatte auch ich jedes Mal ein sehr schönes, schillerndes Fransenkleid an und einen Lampenschirm mit Fransen anstelle meines Kopfes, wie alle anderen meiner Kolleginnen und Kollegen auch. Jedes Mal, wenn der rote Vorhang zur zweiten Halbzeit wieder aufging und wir in dieser Aufmachung vor dem Publikum erschienen, erschallte großes Gelächter, welches wir mit unserer wiegenden, wogenden und vor allem wackelnden Fransenchoreographie noch beförderten. An einem dieser Tage aber fühlte ich mich so beschissen, dass ich mich unter meinem Lampenschirm fragte: Was zur Hölle machst du hier eigentlich?
An diesem Tag hatten wir, wie so häufig, zwei Shows zu spielen. Ich legte mich in der Garderobe auf den Boden und überbrückte die Stunde bis zum nächsten Einsatz, da sagte meine Kollegin Julia doch tatsächlich: Mir geht es heute so Scheiße, ich habe geheuelt unter meinem Lampenschirm.
Ich dachte: Wie krass! Ihr ging es genauso wie dir und du hast es gar nicht gemerkt - und fragte sie, ob ich ihr “human blanket” sein soll, was sie dankend annahm und sich ebenfalls auf den Boden legte - und ich auf sie drauf. In diesem Moment wusste ich, dass ich einen Song in mir trug, der unbedingt raus musste. Zu Hause angekommen, es war Mitternacht und meine NachbarInnen sind immer sehr kulant mit mir gewesen, setzte ich mich ans Klavier und HINTER DEN KULISSEN floss innerhalb von einer halben Stunde aus mir heraus. Ich schickte Julia sofort ein Demo und sie antwortete: I FEEL IT!